Aus aktuellem Anlass mal wieder ein Blogbeitrag von mir. Schon in der Überschrift könnt Ihr das Thema lesen – und gleichzeitig auch ein offenes Bekenntnis, das mir unter Umständen richtige Schwierigkeiten bringen könnte. Warum? Lest Euch rein!
Seit dem 05. März bin ich jetzt in meinem Prüfungspraktikum und arbeite in einem Hort (für alle Lesenden aus den anderen Bundesländern; der Hort ist eine Kindertageseinrichtung für Grundschulkinder, welche sich der Betreuung, Erziehung und Bildung von ihnen während der schulfreien Zeit annimmt). Nach diesem Praktikum habe ich meine Ausbildung voraussichtlich erfolgreich abgeschlossen und darf mich, nach der feierlichen Zeugnisübergabe, als „staatlich anerkannter Erzieher“ bezeichnen. Wurde ja auch mal Zeit nach fünf Jahren Ausbildung (zwei davon entfielen auf den „staatlich anerkannten Sozialassistenten“, der als eine mögliche Zugangsvoraussetzung zur Ausbildung zum*zur Erzieher*in gilt). Für mein Prüfungspraktikum, das gerade für meine Praxisnote sehr entscheidend ist, habe ich mich für eine Einrichtung entschieden, bei der ich bereits mein erstes Praktikum in der Erzieherausbildung erfolgreich abgeschlossen hatte.
Das Team ist offen und ehrlich, ich habe schnell erneut Anschluss gefunden und die Kinder sind herzlich und nehmen mich so an, wie ich bin. Kurz gesagt; ich könnte für meine praktische Prüfung nicht besser gewappnet sein. Am Dienstag diese Woche hatte ich zudem meine erste Hospitation, in der mir meine Klassenlehrerin bereits einmal über die Schulter schaute. Ihr Eindruck von meinem pädagogischen Handeln und der fachtheoretischen Erklärung im nachfolgenden Fachgespräch war sehr gut, was mich natürlich in meiner Berufswahl erneut bestärkte.
Soviel erstmal zur allgemeinen Ausgangslage.
Natürlich habe ich aktuell, wie auch schon in meinem ersten Praktikum in diesem Hort, das besondere „Glück“, dass die Gewerkschaften und die Arbeitgebenden sich derzeit in Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes befinden, bei denen die Gewerkschaften (grob gesagt) mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten fordern. Da die Arbeitgebenden die Forderungen der Gewerkschaften erneut ohne (akzeptablen) Gegenvorschlag ablehnten, rufen diese nun zu Streiks auf. Euch ist bestimmt schon aufgefallen, dass bundesweit Flüge und Bahnen ausfielen, sowie an einigen orten bereits Erzieher*innen für einen Tag ihre Arbeit niederlegten. Auch in Dresden und Freital rief der Sächsische Erzieherverband (SEV), dessen Spitzengewerkschaft der Deutsche Beamtenbund (dbb) ist, bereits gestern zu einem Warnstreik auf. Dem schließen sich nun die größeren Gewerkschaften Ver.di und die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), welcher ich selbst angehöre, an. Beide Gewerkschaften gehören zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).
So sind also für Dresden, Freital und Leipzig am Freitag ganztägige Warnstreiks angekündigt, was mich in eine ziemlich schwierige Lage bringt. Für Erzieher*innen ist die Frage der Teilnahme vor jedem Streik eine Gewissens- und Geldfrage. Gewerkschaftsmitglieder bekommen für den Tag ein sogenanntes „Streikgeld“ von ihrer Gewerkschft erstattet, sodass ihre Arbeitsniederlegung keine Einbüße im Gehalt bewirkt. Erzieher*innen, welche jedoch nicht in einer Gewerkschaft organisiert sind, werden weder von ihren Arbeitgebern für diesen Tag bezahlt, noch bekommen sie das „Streikgeld“ der Gewerkschaften.
Soweit so logisch. Doch, wie ist es jetzt mit mir? Ich bin ja (noch) kein Erzieher und bezahlt werde ich für meine Arbeit als Praktikant sowieso nicht (auch wenn ich quasi fertig ausgebildet bin). Darf ich also überhaupt mitstreiken?
Mit der Frage habe ich mich schon 2016 beschäftigt, was mich letztlich auch davon überzeugt hat, der GEWerkschaft (Achtung Wortwitz! – Ich weiß, der war sehr einfallslos.) beizutreten. Ich habe mich also bereits 2016 erkundigt, ob ich als Praktikant, dessen Praktikum im Rahmen einer Berufsausbildung stattfindet, ’streikberechtigt‘ bin.
Der erste logische Schritt war ja, mich bei meiner Klassenlehrerin zu erkundigen – also fragte ich sie nach der Positionierung der Schule. Sie antwortete mir, dass sich die Schule nach der Praktikumseinrichtung richtet. Bestätigt sie mir meinen Wunsch nach der Teilnahme, geht das für die Schule ebenso klar.
Also fragte ich die Einrichtungsleitung (wir Duzen uns ja alle, also war das ein ziemlich offenes und herzliches Gespräch). Sie verwies mich an die Bestimmungen des Eigenbetriebes Kindertageseinrichtungen Dresden (im Volksmund auch die „Stadt“ genannt, da der Eigenbetrieb alle öffentlichen Kindertageseinrichtungen in Dresden abdeckt).
Demnach schaute ich in die Bestimmungen, welche mir das Mitstreiken untersag(t)en, wenn ich unter die sogenannte „Praktikantenrichtlinie der Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA)“ falle. In dieser stand – und steht:
„1. Geltungsbereich
(1) Diese Richtlinien gelten für Praktikantinnen und Praktikanten,
a) die ein Praktikum von bis zu drei Monaten
(…)
b) die ein Pflichtpraktikum auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten.“
Da mein Praktikum ein zu absolvierender Pflichtteil meiner Ausbildung ist, falle ich somit unter 1. (1) b) und darf, laut der VKA, nicht mitstreiken. Darauf stieß ich, wie bereits erwähnt, schon 2016 und fragte mich, was ich denn nun tun solle. Mir blieben die Wahlmöglichkeiten, in einer anderen, geöffneten, Einrichtung zu arbeiten, mich krankzuschreiben oder verdeckt mitzustreiken. Nun, ich denke, ich brauche Euch nicht zu erklären, dass ich natürlich verdeckt mitgestreikt habe. (WAS – DAS HAT ER JETZT NICHT GEMACHT?! – Doch.) Und ich verheimliche ebenso nicht, dass ich meine Kolleg*innen auch diesen Freitag wieder unterstützen werde. Mein Vorteil: Ich bin (Achtung, es passiert wieder) GEWerkschaftsmitglied. Sollte ich auffliegen, sichert mir meine Gewerkschaft Rechtsschutz zu. Wie das aussieht? Das kann mir vermutlich auch da niemand genau sagen.
Aber warum setze ich mich freiwillig diesem Risiko aus?
Dafür gibt es mehrere Gründe:
1. Die oben zitierte Richtlinie wurde von den Menschen geschrieben, wegen denen gestreikt wird – nämlich von den Arbeitgebern. Mit dieser Richtlinie wird versucht, Praktikant*innen einzuschüchtern, um von ihrem Grundrecht auf Arbeitskampf abzusehen. Dazu noch ein Zitat aus dem Grundgesetz (GG), unseren höchsten Rechten:
GG Art. 9 (Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit)
„(3) Das Recht, zur Wahrnehmung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Anderen, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. (…)“
(Funfact: nach dem Art. 3 Abs. 3 GG ist also die VKA-Richtlinie rechtswidrig und nichtig.)
2. Ich unterstütze meine Kolleg*innen selbstverständlich aus ethischen und moralischen Gründen in ihrem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen. Denn alle Erfolge, die bereits jetzt erzielt werden, werden auch mir als künftigen Arbeitnehmer zugute kommen.
3. Ich habe Urteile des Bundesarbeitsgerichtes, die in Gerichtsverhandlungen meine Position bereits untermauerten, auf meiner Seite. Hierzu folgendes:
„selbst dann, … könnte die Teilnahme des Klägers an diesem Warnstreik eine Lösung des Ausbildungsverhältnisses nicht rechtfertigen.“
Kurz gesagt: Es darf, rein rechtlich gesehen, keine negative Konsequenzen für meine Ausbildung geben.
„Zu Arbeiten als Streikbrecher dürfen die Auszubildenden ohnehin nicht herangezogen werden. Schließlich kann der Arbeitgeber nicht erwarten, dass sich die Auszubildenden bei kurzen Warnstreiks gegenüber den Arbeitnehmern des Betriebes unsolidarisch verhalten.“
Zusammengefasst: Ich darf nicht als „Ersatz“ in meiner oder einer anderen Einrichtung eingesetzt werden, wenn ich dem ausdrücklich widerspreche.
„Im vorliegenden Fall haben sich die Auszubildenden nur an kurzen, befristeten Warnstreiks der gewerblichen Arbeitnehmer beteiligt. Die Teilnahme an solchen Arbeitskämpfen kann den Ausbildungszweck nicht gefährden.“
Anders gesagt: Solange meine Ausbildung nicht gefährdet wird, darf ich mitstreiken. (Ich würde es sogar als Gewinn für meine Ausbildung bezeichnen, da ich mich erst durch den damaligen Streik mit den Gewerkschaften ernsthaft auseinandergesetzt habe – im Unterricht wurden die Gewerkschaften noch nicht einmal erwähnt.)
Alle Zitate stammen von Gerichtsurteilen des (Bundes-)Arbeitsgerichtes. Das erste stammt vom Arbeitsgericht Stuttgart vom 12.11.1979 (AP Nr. 68). Das zweite und das dritte vom Bundesarbeitsgericht vom 12.09.1984 (AP Nr. 81).
Ich werde also am Freitag mitstreiken und für meine zukünftigen, sowie die aktuellen Rechte meiner Kolleg*innen einstehen.
Zwei ergänzende Beiträge habe ich noch:
- Liebe Erzieher*innen, die bei freien Trägern arbeiten: Die meisten freien Träger orientieren sich bei dem Gehalt an dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD). Genau über den wird verhandelt und genau dafür wird gestreikt. Steigen die Gehälter im TVöD, steigen also auch Eure Gehälter. Überlegt Euch also bitte gut, ob und warum Ihr es ablehnt zu streiken.
- Liebe Eltern/-teile: Wir alle verstehen Euren Frust. Uns blutet ebenso jedes Mal das Herz, wenn wir Euch mitteilen müssen, dass wir Eure Kleinen höchstwahrscheinlich nicht betreuen können. Streiks in sozialen und pflegerischen Berufen treffen leider immer die Falschen. Unseren Arbeitgebenden ist es egal, ob wir Eure Kinder an dem Tag betreuen oder nicht. Umso wichtiger ist es, dass ihr Euren Frust nicht in sozialen Netzwerken oder uns gegenüber auslasst, sondern gegenüber unseren Arbeitgebenden (also dem Eigenbetrieb Kindertagesstätten Dresden). Setzt Euch mit uns in Verbindung, sprecht uns an – wir können uns gern partnerschaftlich ein geeignetes Ventil überlegen!
Übrigens habe ich 2016 bei meinen Nachforschungen auch den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) angefragt, welcher daraufhin eine Folge von „Hörer machen Programm“ dafür verwendete. Da fiel das Fazit jedoch nicht so eindeutig aus. Gern hätte ich Euch einen Link zur Verfügung gestellt, jedoch lässt sich der Beitrag nicht mehr finden.
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